Gemeinsame Stellungnahme der Landkreise

Die Landkreise Waldshut, Konstanz, Lörrach und der Schwarzwald Baar-Kreis haben in einer gemeinsamen Erklärung zu Etappe 2 des Sachplanverfahrens geologische Tiefen­lager (SGT) Stellung genommen.

Neben dem Download der Stellungnahme im PDF-Format veröffentlichen wir hier auch die Textform: 

Vernehmlassung des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) zu Etappe 2 des Sachplans geologische Tiefenlager

Vernehmlassung des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) zu Etappe 2 des Sachplans geologische Tiefenlager

 

 

Sehr geehrter Herr Mayer,

wir danken für die Gelegenheit, zu Etappe 2 des Sachplanverfahrens geologische Tiefen­lager (SGT) Stellung nehmen zu können.

Die Gremien unserer Landkreise haben folgende gemeinsame Stellungnahme zu Etappe 2 des Sachplanverfahrens verabschiedet:

 

Primat der Sicherheit

Ein Tiefenlager für radioaktive Abfälle mit seinen möglichen Folgen wird unsere und die nachfolgenden Generationen bis in unvorstellbare Zeiträume beschäftigen. Unsere Land­kreise haben ein herausragendes Interesse daran, dass die Schweiz ihre Atomabfälle an den sichersten Standorten lagert. Gemeinsam fordern daher unsere 4 Landkreise, wie auch die Bundesrepublik Deutschland und das Land Baden-Württemberg, dass für ein Schweizer Tiefenlager nur ein Standort gewählt werden darf, der die größtmögliche Sicherheit für Mensch und Umwelt gewährleistet. Das Primat der Sicherheit ist auch in der Schweiz unstrittig.

Wir haben als Landräte und Landrätin in unseren politischen Gremien und in der Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren immer wieder deutlich gemacht, dass wir akzeptieren, dass es die geologischen Gegebenheiten in der Schweiz sind, die eine sichere Endlagerung der Schweizer Atomabfälle in Grenznähe rechtfertigen. Wir waren und sind bereit, die Lasten einer grenznahen Tiefenlagerung zu tragen.

Wir erwarten jedoch, dass vom UVEK folgende, für uns essentielle Eckpunkte im weiteren Verfahren sichergestellt werden:

  1. Transparenz im Verfahren
  1. Dem Primat der Sicherheit muss auch das Verfahren in jeder Hinsicht gerecht werden. Zur Erhöhung der Transparenz im Verfahren ist es insbesondere beim Diskurs von Sicherheitsfragen wünschenswert, dass in der nächsten Etappe des Sachplanverfahrens die Begrenztheit der Erkenntnismöglichkeiten noch stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt wird und dass der Diskurs in der Schweiz weniger zielgerichtet im Hinblick auf die Genehmigungsfähigkeit des Tiefenlagers geführt wird. Diskussionen von Zweifelsfragen lediglich in geschlosse­nen Fachgremien, wie etwa bei den Zwischenhaltsitzungen für den 2x2-Vorschlag der Nagra, werden dem Anspruch der Öffentlichkeit nach Transparenz nicht gerecht.
  2. Deshalb sollte auch die technisch-wissenschaftliche Datengrundlage für die Wahl des oder der Standortgebiete, an denen die Nagra Rahmenbewilligungsgesuche ausarbeiten möchte, nicht nur in Fachgremien, sondern frühzeitig, noch vor der Ausarbeitung der eigentlichen Antragsunterlagen für das Rahmenbewilligungs­gesuch im Rahmen eines formalen Verfahrens in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Es wird der Öffentlichkeit – jedenfalls der deutschen – nicht zu vermitteln sein, dass die Nagra voraussichtlich im Jahr 2022 den oder die Standorte benennt, an denen sie Rahmenbewilligungsgesuche (RBG) ausarbeiten wird, dann aber erst 2025, also 3 Jahre später, als Teil des RBG einen Bericht zu ihrer Standortauswahl vorlegen wird und dieser Bericht erst im Rahmen der Vernehmlassung zum RBG, somit voraussichtlich nochmals 4 Jahre später, in der Öffentlichkeit diskutiert und durch die Fachgremien bewertet werden kann.
  1. Standorte für die Oberflächenanlagen
  1. Politisch ist es für uns nicht akzeptabel, dass die vorgesehenen OFA-Standorte gesamthaft betrachtet in unmittelbarer Nähe insbesondere zum Landkreis Walds­hut liegen, teilweise in Sichtweite direkt angrenzender deutscher Gemeinden (Jestetten, Lottstetten, Hohentengen), im Falle von Jura Ost flussaufwärts wenige Autominuten oberhalb der Aaremündung bei Waldshut-Tiengen, im Falle von Zürich Nordost lediglich rund 1 km von der Staatsgrenze entfernt.

    Die unmittelbare Grenznähe der Oberflächen- und Nebenzugangsanlagen steht im Widerspruch zu der völkerrechtlichen „no-harm rule“, nach der die Schweiz ver­pflichtet ist, die durch den Bau und Betrieb der Oberflächenanlagen verursachten Lasten und Risiken primär auf ihrem eigenem Staatsgebiet zu tragen und nicht wie jetzt vorgesehen den Nachbarstaat in vergleichbarer Weise – wie das eigene Staatsgebiet – quasi in einer Schicksalsgemeinschaft zu belasten. Aufgrund der unmittelbaren Grenznähe der OFA-Standorte nimmt die deutsche Bevölkerung ihre Betroffenheit inzwischen stärker wahr als zu Beginn der Standortsuche. Die für Etappe 3 vorgeschlagenen OFA-Standorte sind raumplanerisch nicht zwin­gend, sondern sie sind Ausdruck des Mehrheitswillens der Partizipationsgremien, diese als relative geeignete („am wenigsten ungeeignete“) Standorte vorzu­schlagen. In den jeweiligen Regionalkonferenzen wurden die Standortalternativen auch nicht unter der Anwendung einer einheitlichen Methodik evaluiert. Die gefundenen Standorte sind eher das Ergebnis eines politischen Prozesses als Resultate eines umfassenden raumplanerischen Auswahlver­fahrens. Oberflächen­anlagen mit ihren „heißen Zellen“ werden in der Öffentlichkeit als nukleare, sicherheitstechnisch kritische Anlagen wahrgenommen.

    Wir sind davon überzeugt, dass raumplanerisch mindestens gleichwertige, im Hinblick auf den Schutz des Oberflächen- und Grundwassers im Aare- und Rheintal sogar besser geeignete Standortalternativen für die Oberflächenanlagen in größerer Entfernung zur Staatsgrenze hätten ausgewählt werden können.

  2. Die Platzierung von Oberflächenanlagen über dem rheinbegleitenden Grund­wasserstrom sieht der Landkreis Waldshut als besonders kritisch an. Unmittelbar gegenüber dem Standortareal Weiach NL-2 liegt der Rhein. Die Rheinmitte bildet hier die gemeinsame Grenze. Das Grundwasser unter dem Standortareal infiltriert in den Rhein. Insofern liegt eine unmittelbare Betroffenheit der deutschen Seite mit dem Gemeindegebiet von Hohentengen und weiteren deutschen Gemeinden vor. Nachdem eine mögliche Gefährdung des Grundwasserstroms des Rheins schon aufgrund des in Deutschland geltenden wasserrechtlichen Vorsorgegebotes aus­geschlossen sein muss, lehnt der Landkreis Waldshut insbesondere den Standort NL-2 weiterhin vehement ab. Eine Beeinträchtigung von flussabwärts liegenden Grundwasserschonbereichen und Trinkwasserquellen, die sich aus dem Rhein­uferfiltrat und dem Grundwasser speisen, ist nicht hinnehmbar.

    Auch die diskutierte Verschiebung der OFA in NL-2 um ca. 200 m an den Rand des Tals bringt aus Sicht der Grundwasserschutzes so gut wie nichts, da die OFA dann immer noch teilweise über dem Grundwasserstrom und auch weiterhin im strategischen Interessensgebiet der Trinkwasserversorgung des Kantons Zürich liegen wird. Am Talrand werden über dem Grundwasserstauer zudem wasser­gesättigte Niederterrassenschotter erwartet.

    Der Landkreis Waldshut begrüßt es deshalb ausdrücklich, dass die Regionalkonferenz „Nördlich Lägern“ mehrheitlich entschieden hat, die endgültige Standortentscheidung für die Oberflächenanlage solange zurückzustellen, bis die Nagra die grundlegende Geeignetheit des Gebietes „Nördlich Lägern“ für eine Tiefenlagerung anhand der 3D-Seismik und Tiefenbohrungen geprüft hat und die Grundwasserverhältnisse an den Standorten NL-2 und NL-6 hinreichend geklärt sind.

  3. Eine vergleichbare Situation liegt beim nur rund 1 km von der Staatsgrenze in der Rheinmitte entfernten Standort ZNO–6b vor. Auch hier besteht aktuell die Besorgnis einer Trinkwassergefährdung durch die Platzierung der Oberflächen­anlagen und ihrer möglichen negativen Auswirkungen auf die Trinkwasserversor­gung in künftigen Jahren. In gleicher Weise müssen auch hier die hydrologischen und geologischen Verhältnisse dringend weiter geklärt werden.
  1. Anpassung der Standortregionen für Etappe 3
  1. Bei der Frage der Betroffenheit und damit der Bildung der Standortregionen treffen seit Beginn des Sachplanverfahrens unterschiedliche Sichtweisen aufeinander. Während Deutschland die Frage der Betroffenheit auch anhand der möglichen Umweltwirkungen – einschließlich der radiologischen Wirkungen – eines Tiefenlagers mit seinen Anlagen an der Oberfläche beurteilt, verfolgt die Schweiz den Ansatz, die Standortregionen möglichst klein zu halten. Bei der Anpassung der Standortregionen für die Etappe 3 ist dieser latente Konflikt wieder voll aufgebrochen.

    Bei einem direkt an der deutschen Grenze gelegenen Tiefenlager und Standorten für die Oberflächen- und Nebenzugangsanlagen, die jeweils in unmittelbarer Grenznähe liegen, sind vergleichbare Wirkungen des Lagers und seiner Nebenanlagen diesseits und jenseits des Rheins gegeben. Unsere Landkreise erwarten deshalb, dass unsere Betroffenheit entsprechend anerkannt wird und wir im Verfahren fair und angemessen beteiligt werden, wenn wir die Lasten einer grenznahen Tiefenlagerung atomarer Abfälle tragen sollen.

    Menschen, die sich betroffen sehen, sind nicht ohne Not auszuschließen. Nach­dem es keine allgemeingültigen wissenschaftlichen Kriterien zur Abgrenzung einer durch ein Tiefenlager für atomare Abfälle betroffenen Region gibt – so wird etwa in Deutschland im Gegensatz zur Schweiz die Betroffenheit und damit die Frage der Beteiligung großräumig auf Ebene der Landkreise betrachtet –, kann nur der Grundsatz gelten: Wer sich betroffen fühlt, der ist auch betroffen.

    Für die Einbeziehung der deutschen Öffentlichkeit sind die Regionalkonferenzen von zentraler Bedeutung.

    In Etappe 3 soll für die Abgrenzung der Standortregion zwischen Infrastruktur­gemeinden – die eine Art inneren Kreis bilden – und „weiteren einzubeziehenden Gemeinden“ unterschieden werden. Daneben sollen auch die Planungsträger (in Deutschland die Landkreise und von diesen ggf. mandatierte weitere sich als „betroffen“ ansehende Gemeinden) Sitz und Stimme haben – abgesehen jedoch von Fragen der Abgeltung. Partizipation macht nach unserem Verständnis jedoch nur dann Sinn, wenn die Betroffenheit der in der Region lebenden Menschen insgesamt abgebildet wird, die „innere Eingrenzung“ darf deshalb keinesfalls zu eng gezogen werden.

  2. Frau Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer hat gegenüber dem Direktor des BFE im Juli 2016 zurecht und mit unserer vollen Unterstützung gefordert, dass die unmittelbar betroffenen Gemeinden Jestetten und Lottstetten in der Standortregion „Zürich Nord-Ost“ sowie Hohentengen in der Region „Nördlich Lägern“ in den Kreis der „Infrastrukturgemeinden“ aufzunehmen sind. Sollte diese Forderung vor dem Hintergrund der eng gefassten Definition des Begriffs der Infrastrukturgemeinden nicht möglich sein, sind diese deutschen Gemeinden jedenfalls den Schweizer Infrastrukturgemeinden gleichzustellen - mit allen Rechten und Pflichten. Es reicht aus unserer Sicht nicht aus, Jestetten sowie Hohentengen, hier unter der Voraussetzung der Wahl des Standorts NL–2 Weiach für die Oberflächenanlage, lediglich an den Arbeiten in den jeweiligen Fachgruppen „OFA“ zu beteiligen, nachdem die Infrastruktur des Tiefenlagers nach den bisherigen Planungen der Nagra unmittelbar an die Gemeindegrenzen dieser beiden Kommunen stößt.

    Daneben sehen sich weitere Gemeinden aus unseren Landkreisen ebenfalls als betroffen an und fordern ein, neben den bereits beteiligten deutschen Gemeinden in den jeweiligen Regionalkonferenzen als „weitere betroffene Gemeinden“ der Standortregion gleichberechtigt mitwirken zu können. Bei Zürich Nordost sind dies die Gemeinden Gottmadingen, Rielasingen-Worblingen, Dettighofen, Klettgau, Hohentengen und Blumberg. Die Gemeinden Dogern, Küssaberg und die Stadt Waldshut-Tiengen fordern eine Beteiligung an der Regionalkonferenz „Jura Ost“, die Stadt Waldshut-Tiengen zudem auch in der Region „Nördlich Lägern“.

  3. Wir begrüßen den Vorschlag des BFE, die Stadt Waldshut-Tiengen und die Gemeinde Dogern in der Standortregion „Jura Ost“ als „weitere betroffene Gemeinden“ anzuerkennen und für diese in der Regionalkonferenz jeweils einen Sitz vorzusehen. Gleiches gilt für die Gemeinden Dettighofen und Gottmadingen in der Region „Zürich Nordost“, die als „weitere betroffene Gemeinden“ in der Regionalkonferenz ebenfalls einen Sitz erhalten sollen.

    Auch die Möglichkeit, die deutschen Sitze frei von jeglichen Vorgaben hinsichtlich der Verteilung auf Behörden, organisierte und nicht organisierte Interessen eigenständig zu besetzen, sehen wir als ein Bemühen hin zu einer gemeinsamen Lösung an.

  4. Vor dem Hintergrund, dass sich die oben aufgeführten deutschen Gemeinden als von einem Tiefenlager zu Recht negativ betroffen ansehen, ist der durch intensive Vermittlung des Kantons Aargau in den Standortregionen „Jura Ost“ und „Nördlich Lägern“ entstandene – letztlich nicht befriedigende – Lösungsansatz für die Beteili­gung weiterer deutscher Gemeinden nur als Kompromissvorschlag anzusehen: Danach sollen neben den oben aufgeführten, als „weitere einzubeziehende Ge­meinden“ anerkannten Kommunen etwa die Gemeinde Küssaberg und die Stadt Waldshut-Tiengen jeweils die für den Landkreis Waldshut als Planungsträger zusätzlich vorgesehenen Behördensitze in Anspruch nehmen und so in den Re­gionalkonferenzen „Jura Ost“ bzw. „Nördlich Lägern“ mitwirken können.

    Im Unterschied zu diesem Kompromissvorschlag in den angeführten Stand­ortregionen gibt es in der Standortregion „Zürich Nordost“ bisher keinen tragfähigen Ansatz für eine Lösung, so dass wir als Landkreise unsere dringende Erwartung äußern, dass im Rahmen der Vernehmlassung eine Lösung für die weitere Partizipation der o.a. deutschen Gemeinden (Rielasingen-Worblingen, Klettgau, Hohentengen und Blumberg) in dieser Region und letztlich auch im Interesse des Gesamtverfahrens gefunden wird.

    Eine Kompromisslösung ist in Zürich Nordost bisher an der fehlenden Bereitschaft der dortigen Schweizer Gemeinden gescheitert, die Sitzzahl für Deutschland geringfügig um 2 weitere Sitze zu erhöhen. Die Aussage, dass die vorgegebene Sitzzahl von 112 Sitzen unverrückbar sei, überzeugt nicht, da es hinsichtlich der Teilnehmerzahl in der Regionalkonferenz „Zürich Nordost“ in den vergangenen Jahren immer wieder Veränderungen gab. Bei der Gründungsversammlung gab es insgesamt 102 Delegierte, davon 14 aus unseren drei Landkreisen, was einem prozentualen Anteil von rund 13,73 % entsprach. Die Quote von 14% in Zürich Nordost war auch nach der Anhörung zu Etappe 1 die Grundlage für den späteren Kompromiss in der Region „Jura Ost“.

    Seit einigen Jahren liegt die Gesamtzahl der Mitglieder stabil bei 111 Personen, die Bevölkerung in unseren Landkreisen ist aber nur noch mit 12 Mitgliedern vertreten. Mit den bisher zugestandenen Sitzzahlen lassen sich die Beteiligungs­wünsche der deutschen Gemeinden aber keinesfalls abbilden, zumal vom BFE ein Stichtag gewählt worden ist, an dem Deutschland in der Regionalkonferenz die geringste prozentuale Mitgliederzahl aufwies. Es ist den bisherigen deutschen Mitgliedern, die sich über viele Jahre in der Regionalkonferenz engagiert haben, nicht zu vermitteln, dass in Etappe 3 von ihnen 5 bis 6 Nichtbehördenvertreter zu­gunsten kommunaler Behördenvertreter ausscheiden sollen.

    Ein „Schweizer Kompromiss“, der bereits auch vom BFE in die Diskussion eingebracht worden ist, könnte in der Rückkehr zu der ursprünglichen Sitzzahl von 14 % für Deutschland bestehen, also dem Zugeständnis zu 15 deutschen Sitzen.

  5. Darüber hinaus halten wir an unserer Position fest, dass sämtliche sich von einem Tiefenlager aufgrund der räumlichen Nähe betroffen erachtende und oben unter b) erwähnten deutschen Gemeinden als „betroffen“ im Sinne des weiteren Ver­fahrens anzusehen sind – und sie mit allen Rechten und gleichgestellt mit den übrigen Gemeinden in der jeweiligen Regionalkonferenz mitwirken können. Dementsprechend ist in den Objektblättern – jedenfalls für das Standortgebiet Zürich Nordost – auch der Schwarzwald-Baar-Kreis als betroffener Landkreis anzuführen.

    Auch erscheint es uns nicht akzeptabel, künftig in den Regionalkonferenzen eine „2-Klassen- Gesellschaft“ vorzusehen: Die „Infrastrukturgemeinden“ sowie die „weiteren einzubeziehenden Gemeinden“ auf der einen Seite und die für den Pla­nungsträger agierenden Gemeinden andererseits, die insbesondere in Fragen der Abgeltung keinerlei Mitwirkungsrechte haben und selbst auch keine direkten Abgeltungen erhalten können, da sie nach aktueller Schweizer Definition nicht zur „Standortregion“ gehören.

    Hier erwarten wir von der Schweizer Seite die erforderliche Flexibilität, zumal die Beteiligungsforderungen der o.a. deutschen Gemeinden weit hinter den Forderun­gen, insbesondere auch des Landes Baden-Württemberg nach einem 30 km-Betroffenheitsradius um ein potenzielles Standortgebiet zurückbleiben.
  1. Aushandlung der Abgeltungen

    Der Sachplan geologische Tiefenlager sieht vor, dass Standortregion/en, in der/denen künftig ein geologisches Tiefenlager für radioaktive Abfälle realisiert werden soll, Ab­geltungen und Kompensationen erhalten können. Der Schweizer Bundesrat hat bisher bewusst darauf verzichtet, die Frage der Abgeltungen für die Sonderlast „Tiefenlager“ gesetzlich zu regeln, da die Entsorgungspflichtigen dieses Versprechen an die poten­ziellen Standortregionen für ein Tiefenlager nicht in Frage stellen würden. In frühen Kostenstudien der Entsorgungspflichtigen war ein Gesamtbetrag von 800 Mio. CHF für ein Lager für schwach- und mittelaktive und ein Lager für hochaktive Abfälle vor­gesehen, wobei die Entsorgungspflichtigen von dem genannten Betrag inzwischen abrücken möchten. In der Schweiz, insbesondere auch seitens des BFE, war bisher unbestritten, dass die Standortregion als solche und damit auch deutsche Gemeinden in den Genuss von Abgeltungen kommen können und auch Projekte in einem erweiter­ten Wirkraum, der auch Deutschland umfasst, im Rahmen der Regionalentwicklung über Abgeltungen gefördert werden können, was wir für unsere Landkreise aus­drücklich begrüßen.

    Der Leitfaden für die Abgeltungsverhandlungen sieht vor, dass die Höhe der Abgel­tungen im Verlauf von Etappe 3 zwischen den Gemeinden der Standortregion, den Kantonen und den Entsorgungspflichtigen ausgehandelt und vertraglich festgeschrie­ben werden soll.

    Die Abgeltungsverhandlungen sollen von den Delegationen der drei genannten Ver­tragspartner geführt werden. Die deutschen Gemeinden sollen einen Sitz innerhalb der 6-köpfigen Delegation der Gemeinden in der/den von der Nagra für ein Tiefenlager ausgewählten Standortregion/en erhalten, was wir ausdrücklich unterstützen und begrüßen.

    Argument für die Einbeziehung des/ der Standortkanton/e in die Abgeltungsverhand­lungen war die Überlegung, dass die Rolle der Gemeinden durch die Teilnahme der Standortkantone an den Verhandlungen gegenüber den Entsorgungspflichtigen ge­stärkt werden soll. Dieses Argument gilt aber auch gleichermaßen für die deutschen Gemeinden, zumal ein einziger deutscher (Gemeinde-)Vertreter am Verhandlungstisch eine eher verlorene Rolle hätte. Die Landkreise Waldshut, Konstanz und der Schwarzwald-Baar-Kreis fordern deshalb, dass ebenfalls ein deutscher Landkreis­vertreter in der Delegation der/des Standortkanton/e Einsitz nehmen kann oder einem Vertreter des Landes Baden-Württemberg diese Möglichkeit eröffnet wird.

    UVP-Hauptuntersuchung

    Die Umweltverträglichkeitsprüfung (Hauptuntersuchung Stufe 1) für das Rahmen­bewilligungsverfahren, mit dem der Standort für das Tiefenlager und dessen Konzept festgelegt werden, gewährleistet keine umfassende Ermittlung der Umwelt­auswirkungen eines Tiefenlagers auf deutsches Staatsgebiet. Mögliche Auswirkungen können nur partiell bewertet werden. Das Untersuchungsgebiet beschränkt sich auf die nähere Umgebung des Areals der Oberflächenanlage und die das Areal erschließen­den Verkehrswege. Durch die Aufteilung der Umweltverträglichkeitsprüfung in zwei Stufen, unterschiedliche Gesuche für die Rahmenbewilligung und das Felslabor sowie das Ausblenden der ionisierenden Strahlung wird für die Hauptuntersuchung Stufe 1 keine umfassende, sondern eine selektive Prüfung in einem engen Untersuchungs­raum vorgeschlagen. Deutsches Staatsgebiet und deutsche Belange werden dabei weitgehend ausgeblendet.

    Der beschränkte Prüfungsansatz, der in der Hauptuntersuchung Stufe 1 vorgesehen ist, unterstreicht die Notwendigkeit einer frühzeitigen und alle Aspekte umfassenden Umweltverträglichkeitsprüfung, die eine gesamthafte Bewertung des Projektes unter sämtlichen Umweltaspekten ermöglicht. Mit Einreichung des RBG ist von der Nagra deshalb eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzulegen, die eine frühzeitige und umfassende Prüfung sämtlicher erkennbarer Umweltauswirkungen eines Tiefenlagers auf deutsches Staatsgebiet umfasst.

    Art 10 a Abs. 1 des Schweizer Bundesgesetzes über den Umweltschutz sieht zwar vor, dass eine Behörde, die über die Planung, Errichtung oder Änderung von Anlagen entscheidet, „möglichst frühzeitig“ die Umweltverträglichkeit prüft. Art. 6 der Schweizer Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung sieht bei mehrstufigen Prüfungen dagegen nur vor, dass „die Prüfung bei jedem Verfahrensschritt so weit durchgeführt wird, als die Auswirkungen des Projektes auf die Umwelt für den jeweiligen Entscheid bekannt sein müssen“.

    Die Espoo-Konvention, die von der Schweiz ratifiziert worden ist, beinhaltet verfahrens­rechtliche Vorschriften für die Durchführung grenzüberschreitender Umweltverträglich­keitsprüfungen, aber auch materielle Anforderungen für die Umweltverträglichkeits­prüfung als solche (Art. 4 Abs. 1 iVm Anhang II). Der Grundsatz, dass die Umweltwirkungen eines Projekts „so früh wie möglich“ zu ermitteln sind, findet sich auch in den Erwägungsgründen der Espoo-Konvention. Die Umsetzung der Espoo-Konvention in das Schweizer Recht genügt bei mehrstufigen Verfahren aber nicht dieser Anforderung. International, etwa auch in der Rechtsprechung des EuGH, ist anerkannt, dass bei einem mehrstufigen Verfahren sämtliche erkennbaren Umweltauswirkungen eines Projekts bereits auf der 1. Stufe zu betrachten sind. Auch der vom BFE erstellte Umweltbericht wird dieser Forderung nach einer frühzeitigen und umfassenden Prüfung nicht gerecht.

    Im Rahmenbewilligungsverfahren sollten alle Auswirkungen zumindest in der Detail­tiefe betrachtet werden, die zum Verfahrenszeitpunkt möglich ist. Soweit bestimmte Planungsdetails noch nicht vorliegen oder Untersuchungsergebnisse abzuwarten bleiben, sollten in der Umweltverträglichkeitsuntersuchung zur Rahmenbewilligung gleichwohl bestmögliche Einschätzungen vorgenommen, dargestellt und begründet werden, damit sich die betroffene Bevölkerung und die Nachbarstaaten frühzeitig – und so vollständig wie möglich – ein Bild von den zu erwartenden Auswirkungen eines Tiefenlagers machen können.

    Nach der Espoo-Konvention sind Fragen der ionisierenden Strahlung im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung zu behandeln und nicht in einem Sicherheits- und Sicherungsbericht, der Bestandteil des Gesuchs für die Rahmenbewilligung ist, da ansonsten auch Summations- und Wechselwirkungen nicht bewertet werden können. Wesentliche Fragen der Strahlensicherheit, wie etwa Störfallanalysen und Frei­setzungsraten, werden dabei voraussichtlich nicht einmal im Rahmen­bewilligungsgesuch geprüft, sondern erst, wenn die definitive Anlagenkonzeption für das Tiefenlager im Rahmen des Bau- und Betriebsbewilligungsgesuches (Art. 20 KEG) zur Prüfung ansteht. Nach unserem Verständnis müssen Abgaberaten im Regelbetrieb und die Auswirkungen aus anzunehmenden Störungen bzw. Störfällen bereits früh­zeitig in der Umweltverträglichkeitsprüfung betrachtet werden. Ionisierende Strahlung macht nicht an Landesgrenzen halt, das zeigen die bereits früher und in jüngster Vergangenheit aufgetretenen katastrophalen Ereignisse, bei denen radiologische Aus­wirkungen auch noch weit entfernt vom eigentlichen Unfallort gravierende Konsequenzen für die Bevölkerung nach sich zogen. Für die Umweltverträglichkeits­prüfung ist deshalb auch ein deutlich vergrößerter Wirkraum vorzusehen.

    Dem wird die Feststellung auf S. 191 des „Zusammenfassenden Berichts über die Aus­wirkungen geologischer Tiefenlager auf Mensch und Umwelt – basierend auf dem Kenntnisstand in Etappe 2 des Sachplanverfahrens“ vom 22.11.2017 (Umweltbericht) auch nicht im Ansatz gerecht, wenn es dort lediglich heißt, „dass ein GTL im Bereich der Radioaktivität voraussichtlich keine oder vernachlässigbare Auswirkungen auf Mensch und Umwelt haben wird. Dies gilt auch für die Gebiete auf deutschem Staats­gebiet.“

    Ergänzend weisen wir nochmals auf die Kritik hin, wie sie von der deutschen Experten­gruppe Schweizer Tiefenlager (ESchT) in ihrer Stellungnahme vom 12.10.2015 (http://www.escht.de/downloads/escht-stellungnahme-uvp-vu-20151012.pdf) sowie in ihrem jüngsten Bericht „Empfehlungen der ESchT für Etappe 3 des Schweizer Sachplanverfahrens geologische Tiefenlager“ vom Januar 2018 (S. 12 f) geäußert wurde.
  1. Sozioökonomisch-ökologische Wirkungsstudien

    Nachdem in der Schweiz die Festlegung der Standorte für ein Tiefenlager nach dem Sachplan alleine anhand von Sicherheitskriterien erfolgen soll, kommt den sozio­ökonomisch-ökologischen Wirkungsstudien (SÖW), die im Wesentlichen auf einer Nutzwertanalyse beruhen, im Auswahlverfahren zwar keine Bedeutung für die Entscheidung über den Standort des Tiefenlagers zu. Die Ergebnisse sollen aber in die Gesamtbewertung für den Bundesratsentscheid zu Etappe 2 einfließen. Die vorgeleg­ten SÖW-Studien wurden von der Landesregierung in der LT-Drucksache 15/6265 vom 12.12.2014 folgendermaßen bewertet:

    „Zur Beurteilung der Auswirkungen eines Tiefenlagers und der zu dessen Er­schließung erforderlichen Oberflächenanlagen haben die sozioökonomisch-ökologi­schen  Wirkungsstudien (SÖW) ein Ziel- und Indikatorensystem mit über 40 Indikato­ren (Messgrößen) für die Wirkungsbereiche Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft festgelegt, wobei die möglichen nuklearen Auswirkungen nicht einbezogen werden. In den für die einzelnen Standortregionen nunmehr vorliegenden SÖW fehlt damit – wie auch im Rahmen der von der Schweiz vorgesehenen UVP – ein wesentlicher Aspekt. Deshalb unterscheiden sich dort die ökologischen Wirkungen eines Tiefen­lagers nicht grundlegend von denen eines mittleren Industriebetriebes. Lediglich hinsichtlich der Wirtschaftsindikatoren wurde die gesamte Standortregion ein­schließlich der deutschen Seite betrachtet. Bei den Umwelt- und Gesellschafts­indikatoren standen die lokalen Wirkungen der Standortareale und der Bauwerke (jedoch ohne Schachtkopfanlagen) im Vordergrund, die zum Teil, etwa bezüglich der Sichtbeziehungen, auch grenzüberschreitend betrachtet wurden“.

    Dieser Bewertung ist aus unserer Sicht nichts hinzufügen. Wir erwarten, dass diese Studien in Etappe 3 weiter vertieft werden, indem der Betrachtungsraum deutlich vergrößert wird und auch mögliche nukleare Wirkungen mitbetrachtet werden. Die potenziellen Auswirkungen eines Tiefenlagers auf unsere Tourismusregionen im Südschwarzwald, am Bodensee und Hochrhein sind dabei in den Blick zu nehmen.
  1. Vorschläge der ESchT zu Etappe 3

    Die Empfehlungen der Expertengruppe Schweizer Tiefenlager (ESchT) für Etappe 3 des Schweizer Sachplanverfahrens geologische Tiefenlager in ihrem Bericht vom Januar 2018

    http://www.escht.de/downloads/escht-stellungnahme-etappe3-180118.pdf

    machen wir uns ausdrücklich zu eigen.

    In Übereinstimmung mit unserer Stellungnahme weist auch die ESchT u. a. darauf hin, „dass eine ausgewogene Berücksichtigung von Interessen nur in einem Verfahren erfolgen kann, in dem Betroffenheit in seiner faktischen Wirkung erfasst und anerkannt wird. Dazu sollte eine angemessene, grenzüberschreitende Betrachtungsregion zugrunde gelegt werden. Eine kleinräumige Umsetzung von Partizipations- und Entwicklungsmaßnahmen sowie eine enge Rechtsauslegung werden den zu betrachtenden regionalen Auswirkungen nicht gerecht“.

    Die ESchT empfiehlt hierzu insbesondere
  • die Vergrößerung der Betrachtungsregion als Grundlage für Analysen zu Aus-wirkungen von potenziellen geologischen Tiefenlagern als auch zur Erarbeitung einer grenzüber-schreitenden regionalen Entwicklungsstrategie,
  • die Erarbeitung einer grenzüberschreitenden regionalen Entwicklungsstrategie vor der Sammlung von Maßnahmenvorschlägen und als Grundlage für die Umsetzung von Maßnahmen der Regionalentwicklung,
  • die angemessene Berücksichtigung der Interessen der deutschen Seite bei zukünftigen Verhandlungen über Abgeltungen und Kompensationen,
  • eine geschlossene Darstellung aller Umweltauswirkungen – sowohl konventionell als auch radiologisch – in allen Vorhabensphasen sowie
  • die frühzeitige Einbeziehung und rechtliche Gleichbehandlung von regional betroffenen Gemeinden und deren Einwohnern in der Schweiz und in Deutschland.

    Für den Einengungsprozess in Etappe 3, der wesentlich auf sicherheitstechnischen und geowissenschaftlichen Untersuchungen beruht, ist aus Sicht der ESchT entscheidend, ob in den betrachteten Standortgebieten ein ausreichend großes Platzangebot für das zu realisierende Tiefenlager zur Verfügung steht. Dazu müssen die Volumen begrenzenden Elemente – bestimmt durch tektonische Störungen (laterale Einengung), Erosionsformen (obere Abgrenzung) sowie die Tiefenbeschränkung (untere Abgrenzung) – ermittelt werden, um zu belegen, dass der geologische Raum in dem jeweiligen Standortgebiet ein ausreichendes Platzangebot bietet.

    Die ESchT weist weiter darauf hin, dass für ein zweifelsfreies Ausscheiden von potenziellen Stand-ortgebieten der Nachweis standortspezifisch und mit geeigneten Verfahren erfolgen sollte. Dazu ist in Etappe 3 ein entsprechendes Erkundungskonzept umzusetzen. Insbesondere die Festlegung der unteren Abgrenzung, i. W. definiert durch die Gebirgseigenschaften des Opalinustons und die bautechnische Machbarkeit, sollte nicht generell, sondern standortspezifisch erfolgen. Das gleiche gilt für die Bestimmung der Platzbedarfe, die wesentlich von dem jeweiligen Endlagerkonzept abhängt und nur in Bezug auf das jeweilige Standortgebiet erfolgen kann.

    Wir beantragen und bitten Sie, sehr geehrter Herr Mayer, die von uns vorgetragenen Kritikpunkte und Aspekte inhaltlich umfassend zu berücksichtigen und entsprechend zu würdigen.

    Insbesondere erwarten wir für die Standortregion Zürich Nordost, dass bei der Frage der deutschen Sitze doch noch ein für alle Beteiligten tragbarer Kompromiss gefunden wird, und bei den Abgeltungsverhandlungen auch ein deutscher Vertreter in der Verhandlungs­kommission der Kantone Einsitz erhält.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

Sven Hinterseh
Landrat

Frank Hämmerle
Landrat

Dr. Martin Kistler
Landrat

Marion Dammann
Landrätin